Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Maur
12.07.2024
21.10.2024 09:20 Uhr

Achterbahn statt Mathe-Stress

Die Looren-Schule gibt Vollgas–bei einem Tagesausflug nach Rust.
Die Looren-Schule gibt Vollgas–bei einem Tagesausflug nach Rust. Bild: Europa-Park
Der Ballenberg und die Rigi waren gestern. Heute führt die Schulreise von der Looren direkt ins Herz der deutschen Unterhaltungsindustrie. Dafür blendet die Schule Maur auch die eigene Philosophie aus.

Das «Fliegende Klassenzimmer» gilt als Klassiker der deutschsprachigen Jugendliteratur. Erich Kästner beschreibt darin wunderbar überspitzt den Alltag an einer Mittelschule. Mit einer eigentlichen Klassenfahrt bzw. mit einem Klassenflug hat das Buch aber nichts zu tun. Würde es heute nochmals geschrieben, wäre dies vielleicht anders. Denn die Zeiten, in denen Schweizer Schulreisen und Exkursionen ins  Freilichtmuseum Ballenberg, auf die Rigi oder aufs Rütli führten, sind vorbei. Heute orientiert man sich an fremdländischen Zielen.

Die Klimaschule in Reisecars

Dies zeigt auch das Beispiel der Sekundarschule Looren vor einigen Wochen. Dort bemüht man sich zwar redlich darum, das Prädikat «Klimaschule» zu erhalten. Man erzieht die Jugendlichen zur Nachhaltigkeit und zum Umweltbewusstsein, führt Aktionswochen zum Gebrauch des Velos als Verkehrsmittel und Präventionstage als Vorbeugung gegen die Gefahren des Erwachsenenlebens und gegen Foodwaste durch. Doch bei der Schulreise nimmt man es dann nicht mehr so genau.

Anstatt den Tag zu nutzen, um den Jugendlichen ein Stück hiesige Kulturgeschichte näherzubringen und einen Ausflug in eine nationale Institution wie das Freilichtmuseum Ballenberg, das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern oder zur Wiege der Eidgenossenschaft auf dem Rütli zu veranstalten, setzen die Verantwortlichen auf Bespassung im Sinn des Kommerzes und der Hochgeschwindigkeitsunterhaltung.

In zwei Reisecars ging es aus der Gemeinde Maur direkt ins Mekka des mitteleuropäischen Freizeitvergnügens – in den Europa-Park im süddeutschen Städtchen Rust. Die Jugendlichen hatten ihre helle Freude: Sie erlebten einen Tag voller Adrenalin und Glückshormone – und lernten zwischen Hamburger-Restaurant und Achterbahn-Plausch auch noch etwas Frühenglisch. Die Attraktionen im Europa-Park tragen Namen wie «Blue Fire Megacoaster», «Atlantica SuperSplash» oder «Alpenexpress Coastiality».

Schüler als künftige Kunden

Doch dies ist offenbar nicht der einzige pädagogische Mehrwert des Ausflugs. Der Europa-Park lockt mit günstigen Angeboten gezielt Schulklassen an. Für 35 Euro haben die Schülerinnen und Schüler Zugang zu allen Anlagen – und können dabei (zumindest gemäss Europa-Park-Homepage) etwas fürs Leben lernen. Dort heisst es beispielsweise: «Mit einem reduzierten Schulklassen-Eintrittspreis, besonderen gastronomischen Angeboten und Übernachtungsangeboten für Klassen sind wir perfekt für Ihren Besuch vorbereitet.»

Doch dies ist längst nicht alles. Glaubt man den Anbietern, lässt sich im Europa-Park «Lernen mit Spass» verbinden: «Unsere an den Lehrplan angelehnten Wissensrallyes vertiefen die Kenntnisse und stärken den Teamgeist. Physikalische Zusammenhänge und faszinierende Phänomene können im Europa-Park erlebt werden und ganz nebenbei lernen Sie in 16 einzigartig thematisierten Bereichen die Architektur und Vegetation von Europa kennen. Das gibt es nur im Europa-Park!»

Die Sache tönt schon fast zu schön, um wahr zu sein. Aber sie geht auf. Besonders für die Parkbetreiber. Heute zählt der Europa-Park jährlich 5,6 Millionen Besucher – 1,2 Millionen davon aus der Schweiz. Damit ist der Europa-Park der besucherstärkste Vergnügungspark im deutschsprachigen Raum. «Wir sind der Freizeitpark der Schweizer», sagt Chef Roland Mack.

Der Achterbahnbauer ist ein äusserst charmanter Gesprächspartner – aber auch ein gewiefter Geschäftsmann. Dies beweist er nicht zuletzt mit seinem Angebot für Jugendliche. In der Sekundarschule Looren hat er seit diesem Sommer ungefähr 80 neue Fans. Und wenn nur die Hälfte davon mit den Eltern wiederkommt, hat sich der Trip gelohnt. Zumindest für den Europa-Park.

Übrigens: Die Tochter des Schreibenden schwärmt noch heute in höchsten Tönen vom Ausflug. Von physikalischen Zusammenhängen, der europäischen Vegetation und einem architektonischen Mehrwert hat sie allerdings nichts erzählt.

Dieser Beitrag ist am 12. Juli 2024 in der «Maurmer Zeitung» erschienen.

Thomas Renggli, Redaktion «Maurmer Zeitung»