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Maur
25.10.2024
25.10.2024 11:45 Uhr

Seldwyla am Greifensee

Die Idylle trügt. In Maur führen Nachbarschaftszwiste zu bemerkenswerten behördlichen Aktivitäten.
Die Idylle trügt. In Maur führen Nachbarschaftszwiste zu bemerkenswerten behördlichen Aktivitäten. Bild: tre
16 Jahre stand sie da und störte (eigentlich) niemanden. Nun musste die mit einem Glasdach versehene Pergola im Bürgli ob Maur verschwinden. Eine Posse aus dem Bauamt.

Das Wichtigste vorweg: Wir befinden uns nicht in Seldwyla, jenem Ort, wo der Schriftsteller Gottfried Keller in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das helvetische Spiessertum und den kultivierten Kleingeist ansiedelte, sondern wir sind in der Gemeinde Maur, umgeben von sattgrünen Wiesen und alten Baumbeständen bei der bald 200-jährigen Liegenschaft, wo Elisabeth Brüngger mit ihrem Lebenspartner wohnt und als Bauanwältin tätig ist.

Elisabeth Brüngger ist in der Gemeinde keine Unbekannte. Mit 18 Jahren war sie das jüngste Gründungsmitglied der lokalen Sozialdemokratischen Partei, 30 Jahre später schaffte sie als erste SP-Vertreterin den Sprung in den Gemeinderat. Als Bauvorsteherin führte sie ihr Amt «mit rechtskundigem und trotzdem gesundem Menschenverstand», wie sie es ausdrückt. 2014 demissionierte sie und zog sich in die Rolle der stillen Beobachterin zurück.

Keine Gnade vor (Un-)Recht

Heute steht sie auf dem Vorplatz ihres Hauses und sagt, dass hier von der Gemeinde ein Exempel statuiert werde, um den kantonalen Behörden zu gefallen. Die Baubehörde habe bei den sogenannten Wiederherstellungsverfügungen des Kantons einen Ermessensspielraum beim Vollzug. So hätte man beispielsweise bis zur nächsten Handänderung der Liegenschaft oder wenigstens noch einige Jahre bis zu ihrem Ableben zuwarten können.

«Die Gemeinde hätte einen Ermessensspielraum gehabt – und die Geschichte mit Augenmass, das heisst unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, lösen können.»
Elisabeth Brüngger

Wahrung der Wesensgleichheit

Sie blickt auf den Sitzplatz, der von einer dichten Rebe überwachsen ist und im Sommer ein schöner Begegnungs- und Verweilort ist. Der unverbaubare Blick auf den Greifensee und das Dorf Maur würde jeder Postkarte gut anstehen. Das nächste Haus ist rund 400 Meter entfernt.

Vor 16 Jahren wurde die Gartenlaube errichtet. Weil diese von einem – von aussen nicht sichtbaren  – Glasdach bedeckt wird, ist sie sturm- und regensicher. Wegen der Laube soll die «Wesensgleichheit» des Gebäudes nicht mehr gewahrt sein, wie es im Jargon der Baudirektion heisst, weshalb der «rechtmässige Zustand» wiederherzustellen sei. Die Maurmer Behörden vollziehen den Abbruch gehorsamst, weil die «Durchsetzung des Raumplanungsrechts, insbesondere die Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet» im überwiegenden öffentlichen Interesse sei. 

Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist das Glasdach längst abgerissen. Nach einem langwierigen Rechtsstreit hat der Bauausschuss der  Gemeinde Maur unter dem Präsidium von Gemeinderat Urs Rechsteiner beschlossen, dass die Sitzplatzüberdachung «vollständig zurückgebaut» werden muss. Das «Rankgerüst» mit den Reben kann bestehen bleiben. Rein op-tisch bleibt also alles wie zuvor. 

Wer nun denkt, dabei handle es sich um einen verspäteten Aprilscherz, wird beim Studium der vierseitigen Ersatzvornahme-Verfügung eines Besseren belehrt. «Für den Fall, dass die Bauherrschaft/Grundeigentümerin und/oder andere Personen die baubehördliche Ersatzvornahme behindern bzw. vereiteln, wird hiermit die Bestrafung nach Art. 292 des Strafgesetzbuches resp. § 340 PBG ausdrücklich angedroht.» Und weiter: «Die Abteilung Hochbau und Planung ist befugt, zum Schutz der mit der Ersatzvornahme betrauten Personen bzw. zur Sicherung ordnungsgemässer Durchführung, sofern erforderlich, Polizeikräfte aufzubieten und den Zutritt zur Liegenschaft mit geeigneten Massnahmen zu ermöglichen.»

Polizeiaufgebot für ein Glasdach Gedroht, getan: Obwohl sich Elisabeth Brüngger mit der Situation abgefunden und selbst Kontakt mit der aufgebotenen Baufirma  aufgenommen hatte, fuhr die Gemeinde am 3. Oktober mit schwerem Geschütz auf: Hochbauvorsteher Rechsteiner als Aufpasser – und drei Kantonspolizisten als Geleitschutz. 

«Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es sich um einen Bagatellfall handelt und die Rückbauanordnung rein strafenden Charakter hat.»
Elisabeth Brüngger

Elisabeth Brüngger versteht die Welt nicht mehr: «Die Gemeinde hätte einen Ermessensspielraum gehabt – und die Geschichte mit Augenmass, das heisst unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, lösen können. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es sich um einen Bagatellfall handelt und die  Rückbauanordnung rein strafenden Charakter hat.»

Auch der seinerzeitige Einsprecher, der frühere Pfarrer B. K., habe sein Interesse an der Sache längst verloren. Die Baubehörde blieb unerbittlich, nachdem sie zuerst – gleich übrigens wie die Baudirektion – die Überdachung als rechtens und nicht bewilligungspflichtig beurteilt hatte. 

Kommentieren will Elisabeth Brüngger die Vorgänge nicht mehr weiter, weist aber abschliessend darauf hin, dass es der Sitzplatz ihres vor kurzem gewaltsam zu Tode gekommenen Bruders war. Sie stelle sich die Frage, ob das unnachgiebige Verhalten der Behörde mit den von ihr damals erhobenen Vorwürfen gegen die Bauabteilung in Zusammenhang stehe.

Thomas Renggli