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Maur
04.12.2024
04.12.2024 09:38 Uhr

Was ist aus dem MS «Oberland» geworden?

Aufnahme von 1995, als das MS «Oberland» noch auf dem Greifensee verkehrte, hier mit froher Geburtstagsgesellschaft an Bord: Die letzte Uessiker Käserin Frieda Egli (1907–2002) feierte wiederholt ihre Geburtstage mit dem Singkreis auf dem Schiff.
Aufnahme von 1995, als das MS «Oberland» noch auf dem Greifensee verkehrte, hier mit froher Geburtstagsgesellschaft an Bord: Die letzte Uessiker Käserin Frieda Egli (1907–2002) feierte wiederholt ihre Geburtstage mit dem Singkreis auf dem Schiff. Bild: Museen Maur / Archiv Ortsgeschichte
Anfang Juli 1984 wurde das MS «Oberland» auf dem Greifensee eingewassert und von der ersten Regierungsrätin, Justizdirektorin Hedi Lang, in Maur getauft. Als «Martin» tut das Motorschiff heute seinen Dienst auf dem Chiemsee. Der Dorfarchivar Beat Zimmermann hat das Schiff besucht.

Eine Stunde von München entfernt entsteige ich eines Morgens Ende Juli dieses Sommers mit Horden anderer Tagesausflügler dem überfüllten Regionalexpress nach Salzburg. Eine kleine, grün lackierte Bahn rattert pfeifend und bimmelnd in acht Minuten von der Station in Prien am Chiemsee durch ein Wohngebiet zum Hafen im Ortsteil Stock. Dort empfängt das nach dem Gründer der örtlichen Schifffahrtsgesellschaft «Ludwig Fessler» benannte und einzige Schaufelradschiff auf Bayerns grösstem See die Touristen zur Fahrt auf die Herren- und Fraueninseln sowie weiter nach Gstadt.

Die grosse Tour unter stahlblauem Himmel erledigt an diesem heissen Tag die nach der Schutzheiligen des Chiemgaus benannte «Irmingard» (die Passagierschiffe auf dem Chiemsee heissen Edeltraud, Josef, Stefanie, Rudolf, Michael, Martin eben, Maximilian, Birgit oder Barbara und sind nach Schutzheiligen benannt). 

Etwas entfernt vom Passagierhafen liegt auf dem Firmengelände der Chiemsee-Schifffahrt eine nur noch von Fotos bekannte, aber doch alte Freundin vom Greifensee vor Anker: das von «Oberland» auf «Martin» umgetaufte Motorschiff, welches seit nunmehr 18 Jahren seinen Dienst als Charterschiff auf dem Chiemsee leistet.

Im Dienst als «MS Oberland»

22 Jahre lang hatte die «Oberland» als kleine Schwester der «Salomon Landolt» Chartergruppen wie den Singkreis Maur über den See geführt und bewirtet. Anders als bei der widerstandsbeladenen Anschaffung der «Salomon Landolt» war die Ankunft des neu gebauten Schiffs, welches das 1982 zur Finanzierung verkaufte Carboot «Hecht» ersetzen sollte, mit Freude erwartet worden. Anfang Juli 1984 wurde das neue Schiff, das wie die «Salomon Landolt» in der Lux-Werft bei Bonn gebaut worden war, getauft.

Die Dienstzeit der «Oberland» auf dem Greifensee war unauffällig: Abgesehen von zwei Seegfrörnen im ersten und im letzten Winter  als Teil der SGG-Flotte, einigen Auswasserungen für Reparaturen und hie und da einmal ein paar unsanften Begegnungen mit einem Landungssteg war nichts Gröberes geschehen.

2005 wurden der Verkauf der «Oberland» und der Bau des MS «David Herrliberger» in Luzern beschlossen. Vier Tage nach der Taufe der «David Herrliberger» am 23. Juni 2006 wurde die «Oberland» abgeholt und nach Prien an den Chiemsee überführt.

Das ehemalige MS «Oberland» am Chiemsee. Bild: Beat Zimmermann

Als «MS Martin»

Auf dem oberbayrischen See kommt die «Martin» im Personenfährbetrieb kaum zum Einsatz. Besonders im Sommer ist das drittkleinste Schiff der Flotte zu klein, um die Menschenmassen zu transportieren, welche täglich an den Chiemsee und besonders zur unfertigen Versailles-Kopie des Märchenkönigs Ludwig II., dem Schloss Herrenchiemsee, und ins alte Augustinerkloster auf der Herreninsel oder auf die idyllische Fraueninsel mit dem bis heute geöffneten Benediktinerinnenkloster Frauenwörth strömen. 

Die Kernaufgabe der «Martin» liegt im Bereich der Sonderfahrten: kleine Veranstaltungen bis 36 Personen, die in der Kabine Sitzplätze finden können, und Schiffsrundfahrten mit bis zu 100 Personen. Bei den geführten Schiffsrundfahrten für maximal 50 Passagiere kann das Motorschiff bei kleineren Gruppen auch als Ersatz für das etwas grössere, bauähnliche Motorschiff «Michael» eingesetzt werden. Deshalb ankert die «Martin» tagsüber häufig neben der «Michael» in den Dockanlagen der Chiemsee-Schifffahrt in Prien. Einen berühmten Passagier, wie ihn die «Ludwig Fessler» 2020 mit  der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel an Bord hatte, kann unsere alte «Oberland» aka «Martin» nicht vorweisen. Die vergangenen 18 Jahre scheinen für das stille Arbeitstier ebenso unspektakulär verlaufen zu sein wie schon zuvor auf dem Greifensee.

Servus, Martin

In den Abendstunden naht der Abschied vom Chiemsee – «Martin» bleibt in seinem kleinen Paradies zwischen den Chiemgauer Alpen und dem ebenen Alpenvorland bei Rosenheim zurück. Unter dem Gebimmel der Lokomotivenglocke fahre ich zur letzten Gelegenheit mit der Chiemseebahn wieder zum Bahnhof zurück und besteige den Regionalzug nach München. Vielleicht verirrt sich eines Tages jemand anderes aus Maur nach Prien und richtet wieder einmal einen Gruss der alten Heimat aus.

Dieser Beitrag ist am 22. November 2024 in der «Maurmer Post» erschienen. Mit freundlicher Genehmigung des Autors zur Veröffentlichung.

Beat Zimmermann, Leiter Archiv Ortsgeschichte Maur