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Maur
26.06.2024
21.10.2024 09:50 Uhr

Der erste Schulmeister, ein linker Lehrer und die Schule am Berg

Trügerische Ruhe? Die Schule Ebmatingen in der Abenddämmerung. (Archivbild)
Trügerische Ruhe? Die Schule Ebmatingen in der Abenddämmerung. (Archivbild) Bild: Thomas Renggli
Die Schule Maur bietet immer wieder Gesprächsstoff. Ein Blick in die Geschichte des Bildungsinstituts macht deutlich, dass dies schon immer so war – mit zum Teil hoch brisanten Episoden.

«Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten». Was der Begründer der deutschen Sozialdemokratie August Bebel im 19. Jahrhundert feststellte (und Helmut Kohl 1995 wiederholte), gilt auch heute. Deshalb blicken wir an dieser Stelle von Zeit zu Zeit zurück – in längst vergangene Epochen, die aber die Basis zum heutigen Gemeindeleben bilden.

Geburtswehen der Volksschule

Die Schule im Wandel der Zeiten – auf kantonaler wie auf Gemeindeebene – war das Thema der Maurmer Neujahrsblätter 1998. In vier grossen Kapiteln, verfasst von ehemaligen Lehrkräften, wurde die Entwicklung des Schulwesens von seinen Anfängen auf hochspannende Weise aufgezeigt. Max Meier, eine der interessantesten und kontroversesten Persönlichkeiten in der Geschichte der Gemeinde Maur, schrieb über die Geburtswehen der Zürcher Volksschule – und ist am Schluss dieses Texts selber ein Hauptdarsteller.

Der erste Schulmeister und fromme Lieder

In der Maurmer Kirchengutsrechnung von 1571 werden erstmals Ausgaben für einen Schulmeister erwähnt. 1638 lernten 70 Kinder in einer niedrigen Schulstube Bibelverse und fromme Lieder. Der Lehrer unterrichtete meist im eigenen Haus, bis 1729 ein Schulhaus gebaut wurde. Er lebte kärglich. Je mehr Schüler, desto besser der Lohn, zu dem jährlich ein Paar Schuhe gehörte.

Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt jeder Ortsteil ein eigenes Schulhaus. Der Grossteil der Bevölkerung war sehr arm. Die Kinder mussten zum Unterhalt der Familie beitragen. Im industrialisierten Oberland arbeiteten sie in den Fabriken, in Maur in den Bauernbetrieben. Der Schulbesuch kam daneben zu kurz.

Aufgezwungene Fortschritte, unterdurchschnittliches Niveau

Marianne Leemann schilderte den steinigen Weg zum Bildungsbewusstsein in der Zeit von 1859 bis 1959. Wie Pfarrer Gottfried Kuhn, Verfasser der «Geschichte des Schulwesens der Gemeinde Maur», 1929 feststellte, «musste in unserer Gemeinde jeder entschiedene Fortschritt im Schulwesen gleichsam von aussen her aufgezwungen werden».

In einem Schulpflegeprotokoll von 1954 ist von «intelligenzmässig unterdurchschnittlichen Klassen» die Rede. Gründe für das schulische «Hintennachhinken» liegen im konservativen Geist, der sich allen liberalen Neuerungen entgegensetzte, und in der schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Situation.

Unhygienische Zustände

Bis Ende der 1950er Jahre war Maur eine arme Gemeinde, die erst seit 1865 über eine eigene Sekundarschule verfügte, die aber schlecht besucht wurde, da der Weg für die Kinder aus den übrigen Gemeindeteilen zu weit war. Auch in hygienischer Hinsicht war es in der Schule nicht zum besten bestellt; kein Wunder, mussten die ohnehin überlasteten Lehrer auch die Abwartsarbeiten verrichten.

Der umkämpfte Looren-Standort

Über «Die Entwicklung der Oberstufe Maur» berichtet Theres Held. Eindrücklich schildert sie die Schwierigkeiten, einen Standort für ein neues Oberstufenschulhaus zu finden. Zwischen den alteingesessenen Bewohnern im Tal und den Neuzugezogenen am Berg entbrannte ein Streit, der die Gemeinde zu spalten drohte. Beide Lager kämpften mit allen Mitteln für den von ihnen bevorzugten Platz. 461 von 651 Stimmberechtigten nahmen an der Gemeindeversammlung vom 17. November 1960 teil, die sich schliesslich für das Grundstück «Looren», einen Standort am «Berg», entschied.

  • In die Jahre gekommen: der Looren-Saal hat schon Generationen von Schülerinnen und Schülern gesehen. Bild: Thomas Renggli
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  • Die Schule mit der schönsten Aussicht der Welt - doch politisch war man sich nicht sicher, ob dies der richtige Standort ist. Bild: Thomas Renggli
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Kesseltreiben der Bürgerlichen 

Über einen andern Fall, der zu heftigen Kontroversen führte, berichtet Ulrich Knobel, nämlich über die Wegwahl von Sekundarlehrer Max Meier aus weltanschaulichen Gründen. Der bekennende Sozialist hatte sich in den 1960-er Jahren mit seiner Frau in Maur niedergelassen und seine Stelle an der Gemeindeschule angetreten. Bald aber begann das Kesseltreiben der bürgerlichen Lokalparteien gegen den beliebten, aber eben im falschen Lager agierenden Lehrer.

Zum Vorwurf wurde ihm unter anderem sein Engagement in der Friedensbewegung gemacht und dass er seine Schüler politisch korrumpieren würde. Meier hatte in seiner Klasse Bilder von abgefackelten Dörfern und Napalm-verbrannten Kindern gezeigt. Seiner umstrittenen Abwahl ging 1966 eine regelrechte Hexenjagd voraus, die sogar schweizweit für Schlagzeilen sorgte.

Kämpfer gegen die Armee

Meier hatte schwer unter seiner Diskreditierung zu leiden. Aber er liess sich nicht unterkriegen und blieb ein revolutionärer Geist. Nach seiner Frühpensionierung Anfang der 1970er Jahre engagierte er sich weiter politisch und wurde auf der SP-Liste für vier Jahre in den Kantonsrat gewählt (1982–1986). Ende der 1980-er Jahre war er (zumindest indirekt) an der Armeeabschaffungs-Initiative beteiligt.

Auseinandersetzung mit Christoph Blocher

Meier kämpfte weiter für seine Werte. Christoph Blochers Polemik zu den «braunen Sozialisten» beispielsweise motivierte ihn in den 1990-er Jahren zu zahlreichen entrüsteten Leserbriefen. Und in einer dreissigseitigen Eingabe an die Bergier-Kommission forderte er 1998 diese auf, die Parteiverbote während des Krieges gegen die Kommunisten zu überprüfen. Davon versprach er sich eine «Rehabilitierung ihrer Opfer», ähnlich jener, die etwa den antifaschistischen Schweizer Freiwilligen gewährt wurde, welche im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner gekämpft hatten.

Unterstützung von Adolf Muschg

Meiers Gesuch wurde nicht stattgegeben. Sowohl die Kommission wie später auch der Bundesrat erklärten sich als nicht zuständig. Enttäuscht? Max Meier antwortete damals mit einem Achselzucken. Dass sein Ansinnen wohl erfolglos bleiben würde, davon habe ihn auch Adolf Muschg mit der Bemerkung «Er würde gegen eine Eiswand anrennen» gewarnt. Gefreut habe es ihn, dass sich immerhin die SP-Nationalratsfraktion geschlossen hinter seine Eingabe stellte. Vielleicht war es einfach noch zu früh dafür.

Am 17. März 2008 verabschiedete sich Max Meier in die Ewigkeit. Die Trauerfeier zu seinen Ehren in der Kirche Maur ist noch heute vielen Menschen in melancholischer Erinnerung. Max Meier wird in Maur schmerzlich vermisst.

  • Ein ausgesprochener Kinderfreund: das Fabeltier in der Schule Aesch. Bild: zVg
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  • Willkommen in der Schule Leeacher: Hier gehen die Kinder aus Ebmatingen zur Schule. Bild: Thomas Renggli
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  • Die Sicherheit auf dem Schulweg ist ein unverändert wichtiges Thema. Bild: Thomas Renggli
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  • Diskussion Lehrplan. Heute werden an ein Bildungsinstitut noch höhere Ansprüche gestellt als früher. (Symbolbild) Bild: Gemeinde Eschenbach
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Thomas Renggli, mit freundlicher Unterstützung der Museen Maur